Mit sich in Kontakt sein: Wie wir die Verbindung zu uns selbst stärken

 

Vor kurzem lernte ich in einem Selbsterfahrungsseminar eine wunderschöne Übung kennen. Wir wurden dazu eingeladen, Paare zu bilden und einen langen Holzstab zwischen unseren Fingerspitzen zu balancieren, während wir uns gemeinsam zur Musik bewegten. Ohne direkte körperliche Berührung entstand dabei ein harmonischer Tanz, ein wortloser Kontakt miteinander, der sich irgendwie magisch anfühlte. 

 

Der Begriff Kontakt ist in den letzten eineinhalb Jahren häufig in einem unerfreulichen Zusammenhang verwendet worden. Immer wieder mussten wir uns Kontaktbeschränkungen unterziehen. Wir haben bemerkt, wie sehr uns der zwischenmenschliche Kontakt fehlt, wenn er plötzlich weitgehend reduziert werden soll. Wir haben erfahren, dass virtueller Kontakt den körperlichen nicht ersetzen kann. Wir haben Umarmungen vermisst, das Händeschütteln und das gemeinsame Zusammensein im selben Raum.  

 

Kontakt mit anderen, Kontakt mit sich selbst 

 

Was verstehen wir überhaupt unter Kontakt? Zumeist wird unter Kontakt die Berührung oder Verbindung mit etwas außerhalb seiner selbst verstanden, also jene zu anderen Menschen, Tieren, der Umwelt. Es gibt aber noch eine weitere ganz wesentliche Dimension, nämlich jene des Kontaktes mit sich selbst. 

 

Häufig suchen Menschen therapeutische Hilfe, weil sie Schwierigkeiten im Kontakt mit dem Außen haben. Sehr oft geht es aber auch darum, den Kontakt zu sich selbst verloren zu haben. Und wie immer ist es im Leben kompliziert und beides untrennbar miteinander verwoben. Denn um in gutem Kontakt mit anderen sein zu können, müssen wir auch uns selbst gut spüren und wahrnehmen.  

 

Es ist hilfreich zu wissen, was uns guttut, was wir brauchen und was wir uns wünschen. Ganz basal: schlafen, wenn wir müde sind. Essen, wenn wir hungrig sind. Uns bewegen, wenn der Körper es braucht und ruhen, wenn uns die Energie fehlt. Auf einer höheren Ebene: Klarheit haben darüber, was unsere Werte sind und unsere Ziele. Um Probleme zu bewältigen und das Leben den eigenen Bedürfnissen und Wünschen entsprechend zu gestalten, müssen wir uns selbst gut spüren. Wir brauchen eine Verbindung zu unserem inneren Kompass. Klingt in der Theorie gut, ist in der Praxis aber oft schwer. 

 

Wenn der Kontakt zu sich selbst schwerfällt

  

Woher kommt es eigentlich, dass viele von uns sich so schlecht spüren können und über weite Strecken den Kontakt zu sich selbst verlieren? Ich kenne es von mir und auch von meinen Klient*innen in der Kunsttherapie: wie schwierig es sein kann, zu benennen, wie sich etwas anfühlt, wo im Körper etwas spürbar ist.

 

Wie ist es, Kreide am Papier zu verreiben oder was erlebe ich, wenn ich mit einem breiten weichen Pinsel Farbe satt auf ein Papier streiche? Wie empfinde ich es, Ton zu kneten? Die meisten von uns sind viel im Kopf und wenig im Spüren. Und auch das Wahrnehmen der eigenen Gefühle kann in weiterer Folge sehr herausfordernd sein.   

Viele Menschen haben gelernt, sich darauf auszurichten, was andere in ihrem engen Umfeld fühlen und brauchen. Das beginnt meist schon in der frühen Kindheit. Kinder sind existenziell darauf angewiesen, gute Beziehungen zu ihren Bezugspersonen zu haben und stellen diese, wenn nötig, durch Überanpassung her. Das bedeutet, wenn es Eltern über weite Strecken nicht gelingt, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erfüllen, wird das Kind diese mit der Zeit weniger gut spüren und die eigenen Empfindungen und Gefühle sozusagen herunterfahren, um sich den Eltern besser anpassen zu können, damit die Bindung nicht gefährdet ist. Es verlernt, sich selbst differenziert wahrzunehmen und beginnt stattdessen, im Kontakt mit anderen Menschen zu “funktionieren”. 

 

Zum Teil ist es ein notwendiges soziales Lernen, sich mit zunehmendem Alter auch an die Bedürfnisse anderer anzupassen, zunächst in der eigenen Familie, dann in größeren Gruppen und schließlich in der Gesellschaft. Problematisch ist es, wenn dies zu früh erfolgt und in einem Übermaß, in dem dann langfristig die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit und das gute Sorgen für sich selbst auf der Strecke bleiben.  

 

Dabei ist es nicht zuletzt in Beziehungen so wichtig, sich selbst gut wahrzunehmen und in gutem Kontakt mit sich zu sein. Denn eigene unerfüllte, unbewusste Bedürfnisse wirken sich problematisch auf zwischenmenschliche Kontakte aus. Die unreflektierte Anpassung an andere hat seinen Preis und kann sich z.B. in passiver Aggression äußern.  

 

Es ist also kein egoistischer Zug, mit sich selbst gut in Kontakt zu sein und auf sich zu schauen, sondern kommt auch dem eigenen Umfeld zugute. Geht es mir gut, geht es auch anderen mit mir gut. In dem Sinn, Eigenverantwortung zu übernehmen, statt zu hoffen, dass andere meine Bedürfnisse erraten. 

 

Durch achtsames Wahrnehmen den Kontakt zu sich selbst wieder finden 

 

Doch wie kommt man nun mit sich selbst (wieder) in einen guten Kontakt? In gutem Kontakt mit sich selbst zu sein ist ein ganzkörperliches Erlebnis. Es umfasst unsere Psyche, unseren Geist und unseren Körper.  

 

Gut in Kontakt mit mir selbst bin ich, wenn ich auch meinen Körper wahrnehme und meine Emotionen, nicht nur meine Gedanken. Der Schlüssel dazu ist Achtsamkeit. Wenn ich wahrnehme, ohne zu bewerten, sondern meine Beobachtung einfach so stehen lassen kann. Meist machen wir das Gegenteil: ständig dreht sich unser Gedankenkarussell, permanent denken und bewerten wir. Denken ist per se ja auch wichtig, es hilft uns dabei, durch die Welt zu navigieren. Aber mit einer Einschränkung, die Stefanie Stahl gerne so formuliert:  Wir sollten unser Gehirn nicht sich selbst beim Denken überlassen. Stattdessen immer wieder auch reflektieren, welche Gedanken mir eigentlich gerade durch den Kopf gehen, ob das alles auch wahr ist und es immer wieder mit meinen körperlichen Empfindungen und Wahrnehmungen abgleichen. 

 

Inneres Erleben ausdrücken und wahrnehmen 

 

Kunsttherapie unterstützt dabei, achtsam wahrzunehmen, was jetzt ist. Wenn es in therapeutischer Begleitung gelingt, sich den eigenen Impulsen zu überlassen, werden beim Gestalten Emotionen, also körperliche Bewegtheiten, in Formen und Farben ausgedrückt. Die momentane innere Dynamik wird zum materiellen Gegenüber. Das entstehende Bild spiegelt unmittelbar die inneren Prozesse. Da ist also zum einen dieser körperliche Ausdruck, ein Weg, auf dem die Hände und der ganze Körper im Kontakt mit dem Material gestalten dürfen.  

 

Zum anderen verstärkt die Reflexion des Prozesses und dessen, was dabei zum materiellen Gegenüber wurde, den Kontakt zu sich selbst, indem wir genau hinschauen: Wie waren und sind jetzt die körperlichen Empfindungen? Warm, kalt, eng, weit, kribbelnd, angespannt, entspannt usw.? Wo ist eine Empfindung verortet, wo im Körper spürbar? Welche Gefühle sind aufgetaucht? Und dann auch: welche Gedanken kommen? Welche Bewertungen tauchen auf? Welche Assoziationen und Erinnerungen? 

 

Ich beobachte in meinen kunsttherapeutischen Begleitungen, dass diese Fragen für viele Menschen sehr ungewohnt sind und auch zunächst sehr schwer zu beantworten. Dennoch stelle ich sie, denn sie dienen dazu, zunehmend auch das aufzuspüren, was tiefer verborgen ist und es auf eine bewusste Ebene zu heben.  

 

Übung für zu Hause: Wie bin ich heute in Form?

 

Abseits vom therapeutischen Kontext ist es lohnend, mehr Achtsamkeit für das eigene Erleben in den Alltag einzubauen.  Eine sehr schöne Methode, die wenig Zeit erfordert und dabei hilft, dranzubleiben, ist das künstlerische Tagebuch.  

 

Du brauchst dazu nichts weiter als ein Büchlein oder Heft und Buntstifte. 

 

Die Grundidee dahinter ist, dass du dir jeden Tag ein paar Minuten Zeit nimmst und spontan eine Mini-Skizze deiner Befindlichkeit gestaltest. Überlass es dabei vertrauensvoll deiner Hand, spontan und intuitiv deinem inneren Erleben Ausdruck zu verleihen.

 

Wie bin ich heute in Form? Mit welcher Farbe kann ich das ausdrücken, mit welcher äußeren Form? Mit sanft geschwungenen Linien oder mit kräftigen, zackigen Strichen?

 

Viel Freude beim Ausprobieren!

 

Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben. 

 

Mein Blog soll dazu anregen, selbst zu gestalten und sich in kreativen Prozessen mit sich selbst zu verbinden. Die vorgestellten Übungen zur kreativen Selbsterfahrung sind nicht zu verwechseln mit Kunsttherapie. Kunsttherapie erfordert eine ausgebildete Kunsttherapeutin / einen ausgebildeten Kunsttherapeuten. 

  

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