Ich und die Welt. Die Grenzen des Selbst und wie Kunsttherapie Raum schaffen kann.

 

Wie oft haben wir schon folgende Sätze gehört oder zu jemandem gesagt: 

Sei einfach du selbst!

Bleib dir selbst treu!

Wichtig ist, mit dir selbst im Einklang zu sein.

Doch wer oder was ist eigentlich dieses Selbst?

Wo fängt es an, wo hört es auf?

 

Unlängst habe ich eine sehr schöne Definition gefunden, mit der ich gut arbeiten kann, obwohl sie zunächst alles noch viel komplizierter zu machen scheint:

 

"Das Selbst ist die Einheit und Ganzheit aller Aspekte und Paradoxien des Menschen. Es umfasst das Bewusste und das Unbewusste, das Körperliche wie das Psychische, das Innere und das Äußere, das Individuelle und das Kollektive, das Weibliche und das Männliche und das Helle und das Dunkle. 

Es ist Zentrum wie Umfang  der Persönlichkeit, ist Ursprung und Ziel und ein fortwährend sich wandelnder Prozess."

(Müller, L., Selbst. In L. Müller und A, Müller (Hrsg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie, Düsseldorf und Zürich 2003, S. 377)

 

So beschrieben, scheint unser Selbst alles zu umfassen, in einem ständigen Prozess zu sein und das, was wir gerne als gegensätzlich betrachten, zu vereinen. 

 

Eine solche Sichtweise ist auf den ersten Blick befremdlich für uns, sind wir es doch gewohnt, uns selbst abzugrenzen und recht klar zu definieren, was innerhalb und was außerhalb unserer Grenzen liegt. Mehr noch, uns selbst gut abgrenzen zu können wird uns (oft auch zu Recht) nahegelegt. Doch was ist, wenn aus einer Grenze eine Kampflinie wird, aus Schutz ein Gefängnis?

 

Gehen wir ganz zum Anfang zurück und betrachten, wann wir begonnen haben, Grenzen zu ziehen.

Ein Baby im Mutterleib kennt noch keine Grenzen. Es ist ganz eins mit sich, seiner Mutter, den Geräuschen und Gerüchen seiner Umgebung. Alles ist eins und es selbst ein Teil davon.

 

Doch sobald es auf die Welt kommt, lernt es, Grenzen zu ziehen.

Langsam, aber beständig, fängt es an zu unterscheiden.

Da gibt es etwas, was gesehen werden kann, und da gibt es mich, die etwas sieht.

Da gibt es etwas, was gerochen werden kann, und da gibt es mich, die etwas riecht.

Da gibt es etwas, was gehört werden kann, und da gibt es mich, die etwas hört.

 

So gehen wir immer weiter mit unseren Unterscheidungen und ziehen immer mehr Grenzen zwischen dem, was dort draußen ist und dem, was hier drinnen ist und wir für uns selbst halten. 

 

Und doch haben Menschen unterschiedliche Auffassungen darüber, was sie als sich selbst bezeichnen würden. 

Ken Wilber beschreibt in "Wege zum Selbst" die Ebenen, auf denen viele Menschen Grenzen ziehen zwischen Selbst und Nicht-Selbst.

 

Zieht man die Grenze an Stelle der Hautoberfläche, so unterscheidet man zwischen seinem Organismus und der übrigen Welt. 

Geht man weiter und zieht die Grenze bereits innerhalb des Organismus, so empfindet man den eigenen Körper als fremd und identifiziert sich hauptsächlich mit dem eigenen Geist und der Psyche. 

Zieht man die Grenze noch straffer, dann sieht man nur jene Aspekte der eigenen Psyche als zu sich selbst gehörig an, die einem bewusst sind und mit denen man sich gut und gerne leben kann, der Rest wird als Schatten abgespaltet und bleibt fremd.

Und spätestens hier wird es spürbar eng. 

 

Es gehört natürlich zu unserem gesunden Entwicklungsprozess, unser Ich auszubilden, um in dieser Welt leben zu können. Denn ohne Ich können wir unsere Impulse nicht aufgreifen, sind handlungsunfähig und können unser Leben nicht gestalten. 

 

Doch wenn es zu vieles gibt, was verdrängt werden muss, wenn zu viele Probleme und Unbewältigtes, Wünsche und Möglichkeiten unterdrückt werden müssen, dann entstehen psychische Konflikte. 

 

Wenn es zu eng wird, wenn also unsere Identifikation damit, wer wir sind oder sein dürfen und wer nicht, uns einzuschränken beginnt, dann müssen wir wieder mehr Raum schaffen. 

 

Kunsttherapie ermöglicht diesen Raum, wenn es eng wird. 

 

Der kunsttherapeutische Prozess ist eine ganzheitliche Weise, sich selbst zu erleben und mit sich in Beziehung zu treten, auch auf Wahrnehmungsebenen, die über den Verstand hinausgehen. 

 

Im Gestalten kann erfahren werden, dass es auch in Zeiten größter Belastungen und Konflikte etwas in uns gibt, was davon unberührt bleibt, nämlich unser wahres Selbst. Uns mit der Ganzheit in uns zu verbinden, also mit unserem inneren Wesenskern wieder in Berührung zu kommen, ist sehr kraftvoll.  

Wir können erfahren, dass im Grunde alles bereits da ist und beginnen, unsere inneren Impulse wieder zu spüren und aufzugreifen.

 

Doch dafür braucht es Mut und Offenheit. Denn sich selbst im Gestalten zu begegnen bedeutet nicht, nur dort mit sich in Kontakt zu kommen, wo man sich wohlfühlt, in den Aspekten, die man gut und gerne annehmen kann. Tiefe Selbstbegegnung beinhaltet auch, mit eigenen Anteilen in Berührung zu kommen, die fremd erscheinen, Angst machen, mit Scham besetzt sind - die eben nicht in das eigene Selbstbild passen. 

 

Doch all das ist heilsam. Denn erst, wenn wir etwas begegnen können, können wir uns damit auch auseinandersetzten bzw. uns eigentlich wieder neu zusammensetzen. Erst in einem guten Kontakt von Ich und Selbst erfahren wir uns in unserer Ganzheit. Dann wird aus Enge wieder Weite und aus einer Krise heraus geschieht Entwicklung. 

 

Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben. 

 

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