Weniger denken, mehr spüren. Wie Kunsttherapie dabei helfen kann, Emotionen wahrzunehmen und sichtbar zu machen.

 

Psychische Belastungen existieren nicht „nur im Kopf“, wie viele Menschen glauben, sondern sie haben eine physiologische Basis.

Dennoch wird oft versucht, Probleme "im Kopf" zu lösen - durch Nachdenken, Analysieren, in Gesprächen.

Wenn wir aber eine Thematik ganz erfassen und tiefgreifende Veränderungen herbeiführen wollen, müssen wir tiefer gehen und unsere Gefühle und deren körperlichen Ausdruck, also unsere Empfindungen, mit ins Boot holen.

Daher wählen wir besser einen Zugang, der psychische, geistige und körperliche Zustände nicht künstlich voneinander trennt, sondern sich dem ganzen Menschen widmet.

 

Denn wenn wir psychische Belastungen erfahren, sind wir ganzheitlich, mit unserem ganzen Leib, davon betroffen. In akuten Belastungssituationen kann sich das in Weinen, Zittern, Verspannungen, Schmerzen, Schwitzen, Kopfschmerzen, Übelkeit und vielem mehr äußern. Wir können auch langanhaltende Belastungen ertragen,  indem unser Körper sich der belastenden Situation allmählich anpasst: es entsteht in uns eine neue chemische Balance. Unser Körper adaptiert sich, indem etwa der Stresshormonspiegel permanent erhöht bleibt, anstatt sich wieder auf einem „normalen“ Niveau einzupendeln. Diese Anpassungsleistung bleibt leider nicht ohne Folgen, sondern verursacht mit der Zeit Probleme wie Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprobleme, Reizbarkeit und Schlafstörungen. Manchmal bleiben die Auslöser dafür so unbewusst, dass man sich wundert - woher kommt das eigentlich?

 

Medikamente versprechen Abhilfe gegen diese diversen Symptome, welche mit einer körperlich-geistig-psychischen Dysbalance einhergehen, jedoch beseitigen sie selten deren Ursache. Von nun an Patient zu sein, statt selbstbestimmt an der eigenen Heilung mitzuwirken, entfremdet Menschen zusätzlich von ihrem Selbstempfinden.

 

Eine der Hauptursachen psychischer Erkrankungen ist die Unterdrückung eigener Emotionen.

 

Dies kann verschiedene Ursachen haben: die eigenen Emotionen können beispielsweise infolge traumatischer Erlebnisse abgespalten oder unterdrückt worden sein. Oder ein Mensch hat die Erfahrung gemacht, im Ausdruck seines inneren Erlebens auf wenig angemessene Resonanz, Unverständnis, keinerlei Unterstützung oder sogar Ablehnung und Bestrafung zu stoßen.

 

Dabei ist es in uns Menschen angelegt, unseren Emotionen Ausdruck zu verleihen. Bei kleinen Kindern können wir das oft gut beobachten: bei Freude wird gelacht und gesprungen, bei Wut wird auf den Boden gestampft und geschrien, bei Traurigkeit verliert der Körper seine Spannung und die Tränen fließen.

Emotion drängt naturgemäß nach außen. Gelingt dies nicht, kann keine Entwicklung stattfinden und der Mensch reagiert darauf  beispielsweise mit einer Depression.

 

Viele Menschen, die sich zu einer Therapie entschließen, leiden darunter, den Zugang zu ihrem inneren Erleben schwer zu finden. Sich selbst wenig zu spüren. Emotionen entweder gar nicht wahrzunehmen oder sie zu unterdrücken, um dann von ihnen überwältigt zu werden. Emotionen also nicht regulieren und nicht benennen zu können. Manche von ihnen haben bereits Therapieerfahrung und viel über ihre Probleme nachgedacht und gesprochen, jedoch ohne eine wesentliche Veränderung ihrer Problematik erzielt zu haben. Oft wird erkannt, dass es einen anderen Zugang braucht und dann wird in der Kunsttherapie der Wunsch geäußert, "nicht nur zu reden". 

 

In diesem Zusammenhang spannend ist eine Entdeckung, die der Traumaforscher Bessel van der Kolk in Das Trauma in dir  beschreibt: erleben traumatisierte Menschen einen Flashback, ist die neuronale Aktivität im Broca-Areal des Gehirns, welche eines der Sprachzentren des Gehirns ist, deutlich verringert.

Funktioniert dieses Areal nicht, so können wir unsere Gedanken und Gefühle nicht in Worte fassen. Er führt des weiteren fort, dass alle Traumata präverbal sind. Opfer traumatischer Ereignisse sitzen oft stumm und mit leerem Gesichtsausdruck, traumatisierte Kinder „verlieren ihre Stimme“. Auch Jahre nach einem traumatischen Ereignis ist es Menschen oft unmöglich, mit sprachlichen Mitteln auszudrücken, was sie bewegt. Es mag zwar gelingen, eine erklärende Erzählung der erlebten Vorfälle zu bilden, aber solche Erzählungen würden so gut wie nie die innere Wahrheit des Erlebten erfassen.

(Bessel van der Kolk, Das Trauma in dir. Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können, 3. Auflage Berlin 2023, S. 73 f.)

 

Und genau das möchte ich hier hervorheben, denn diesen entscheidenden Punkt teilt die posttraumatische Belastungsstörung mit vielen anderen psychischen Problemen: 

 

 

Es fehlen die Worte, um an den Kern des eigenen Fühlens heranzukommen.

 

Deshalb können wir manchmal jahrelang über eine Sache sprechen, ohne uns ihrer Essenz zu nähern.

 

Das Sprechen über belastende Gefühle hat im psychotherapeutischen Verständnis unseres Kulturkreises eine lange Tradition. Über ein Jahrhundert lang,  seit Entwicklung der Psychoanalyse durch Freud und seine Zeitgenossen, vertrat man in vielen psychotherapeutischen Schulen die Auffassung, dass eine Methode des Redens über belastende Gefühle diese auflösen könne. Das kann gelingen, ist jedoch bei vielen Problemlagen nicht ausreichend. Etwa traumatisches Erleben macht genau dies unmöglich. Trotz aller Einsicht und allen Verständnisses, das wir entwickeln, ist der rationale Teil unseres Gehirns häufig nicht in der Lage, dem emotionalen Teil seine Sicht der Realität „auszureden“.

 

Die Frontallappen ermöglichen es uns zwar, zu denken und uns sprachlich auszudrücken. Dort können wir riesige Informationsmengen aufnehmen und verarbeiten und versuchen, ihnen einen Sinn zu geben. Doch nützt uns das nichts in der Bearbeitung unserer Probleme, wenn es uns nicht gelingt, die Verbindung zum emotionalen Gehirn, also zu unserem „Reptiliengehirn“ und dem limbischen System, zu stärken. Denn genau das ist der fehlende link: die körpereigenen Informationen zu unseren Empfindungen werden oft unzulänglich beachtet und verarbeitet. Stattdessen verlagert sich der Fokus weg vom inneren Erleben, weg von der Selbstwahrnehmung, hin zu oft oberflächlichen Problemlösungsversuchen.

 

Was wir also brauchen, ist ein Weg, wieder Kontakt zu unseren Emotionen zu bekommen, indem wir einen weiteren Zugang als die Sprache nützen: den körperlichen Ausdruck, damit Emotionen sichtbar werden.

 

Wo Worte fehlen, sprechen Bilder

 

In der Kunsttherapie ist genau das möglich: HIN ZU SPÜREN.

Mit verschiedensten Materialien das auszudrücken, was in uns Eindruck hinterlassen und Emotionen geweckt hat.

Wir können mit einem in diesem Augenblick, hinsichtlich dieser Thematik, stimmigen Material, den eigenen Impulsen folgend, beginnen zu gestalten.

Wir können, spontan und ohne es kognitiv zu bewerten, unsere Hände das ausdrücken lassen, was bislang tief in uns verborgen ist.

 

Und das, was da ist und sich jetzt zeigen darf, bekommt eine Farbe und eine Form, es drückt sich vielleicht als zaghafter zarter Strich aus oder als intensiv farbige unregelmäßige Form. Vielleicht entsteht ein wildes dynamisches Gewirr aus verschiedenfarbigen Linien, vielleicht eine Anordnung unterschiedlicher Flächen, die sich allmählich zu einem gegenständlichen Bild verdichten. Vielleicht zeigt es sich, indem es in Ton gedrückt wird, vielleicht, indem Muscheln und Steine auf eine bestimmte Art angeordnet werden.

 

 

Entscheidend ist: die Emotion bekommt Ausdruck.

 

Und nun, danach, können wir gemeinsam schauen und darüber nachdenken: was ist es denn, was hier sichtbar geworden ist?

Welcher neue Aspekt eines Themas hat sich gezeigt? Was kann erkannt werden in diesem äußeren Bild meiner inneren Welt?

 

Dieser gesamte Prozess kann manchmal herausfordernd sein, meistens ist er aber sehr schön und letztlich entlastend: denn es bedarf sehr viel Kraft, zentrale Gefühle zu verbergen. Es kostet Energie, die wir eigentlich dafür brauchen, unser Leben unseren Bedürfnissen und Wünschen entsprechend mit Freude zu gestalten. 

 

Gefühle wollen gefühlt werden.

 

Es geht letztlich nicht darum, keine unangenehmen Gefühle mehr zu haben, sondern darum, auch diese in unser Erleben zu integrieren zu können. 

Und darum, die eigenen Gefühle als Signale für Probleme zu erkennen, um deren Lösung wir uns kümmern dürfen, anstatt sie zu ignorieren.

 

 

Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn du allein anstehst und dir Begleitung wünscht, kontaktiere mich daher gerne für einen kunsttherapeutischen Prozess. Ich helfe dir dabei, dich frei und ohne Blockaden auszudrücken. Gemeinsam schauen wir, was sichtbar wurde und suchen Worte für das Erlebte und Entstandene. Wir finden heraus, welche Antworten du darin entdecken kannst und welche Möglichkeiten sich für dich daraus ergeben. 

 

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