Wo Worte fehlen, sprechen Bilder – leibliches Erfassen vorsprachlicher Räume in der Traumatherapie

 

Die Künste als Ausdrucksform für traumatische Erfahrungen zu nutzen, ermöglicht nicht nur Erkenntnis und Sinnfindung, sondern schafft auch eine Sprache, wenn Worte allein nicht ausreichen, die Gesamtheit menschlicher Erfahrungen zu vermitteln. 

 (Malchiodi 2018, S. 69)

 

Traumatische Erfahrungen können Spuren hinterlassen – nicht nur in der Psyche eines Menschen, sondern in seinem gesamten leiblichen Dasein.

 

Die Auseinandersetzung mit Trauma ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend ins Zentrum psychotherapeutischer, medizinischer und gesellschaftlicher Diskurse gerückt. Der Begriff der „Traumafolgestörung“ verweist auf ein Spektrum an pathogenen Auswirkungen, die infolge überwältigender Erfahrungen auftreten können und das Leben der betroffenen Personen tiefgreifend beeinträchtigen.

 

Angesichts der hohen Prävalenz und der enormen individuellen wie gesellschaftlichen Belastung, die mit Traumatisierung einhergeht, wächst die Notwendigkeit ganzheitlicher, wirksamer und ressourcenschonender Behandlungsansätze. Die Behandlung von Traumafolgestörungen ist komplex und mit besonderen Herausforderungen verbunden, denn Traumatisierungen sind niemals "nur psychisch", sondern immer auch intensives körperliches Erleben mit Folgen innerhalb des Leibes, die nur auf der Ebene des Leibes gelindert oder geheilt werden können.

 

Therapeutische Verfahren, die primär über das Gespräch arbeiten, stoßen rasch an ihre Grenzen, denn traumatische Erinnerungen sind häufig sprachlich nicht integriert, sondern als fragmentierte, körperlich-emotionale Spuren abgespeichert. Wortloses Entsetzen und das Fehlen verbalisierbarer Erinnerungen als zentrale Merkmale von Traumafolgestörungen trennt Betroffene von einem kohärenten Selbsterleben und von der Möglichkeit, sich mitzuteilen:

 

Trauma is about loss of connection—to ourselves, to our bodies, to our families, to others, and to the world around us. Recovery is about restoring those connections. Sometimes that begins not with words, but with images, movements, or sensations. 

(Levine 2010, S. 46)

 

Lese ich als Integrative Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision von den Herausforderungen der Traumabehandlung – insbesondere von jenen, die aus dieser tiefgreifenden Sprachlosigkeit hervorgehen – denke ich als Kunsttherapeutin unmittelbar an das große Potenzial kreativer Prozesse, in denen sichtbar werden kann, wofür es (noch) keine Worte gibt. Denn Kunst kann in die tiefsten Schichten unseres Inneren vordringen – dorthin, wo keine Worte existieren.

 

Kunsttherapie im Traumakontext- was intuitiv wie ein perfect match erscheint, habe ich in meiner Abschlussarbeit am Ende der Ausbildung zur Integrativen Therapeutin untersucht. In diesem Beitrag möchte ich Einblick in das Potenzial des bildlichen Ausdrucks geben, besonders dort, wo Erlebtes (noch) nicht in Worte zu fassen ist. 

 

 

Denn wortloses Entsetzen und das Fehlen verbalisierbarer Erinnerungen sind zentrale Merkmale von Traumafolgestörungen. Häufig können Menschen sich nicht bewusst an traumatisches Erleben erinnern, ursprünglich Ganzes ist in einzelne Fragmente zerfallen und teilweise dissoziiert. Sollen traumatisierte Menschen ihre Erfahrungen in Worte fassen, sprechen sie über Erlebtes häufig, als sei es einer anderen Person passiert oder sie werden von Emotionen überflutet und geraten „in eine retraumatisierende Feedbackschleife von Frustration, Abschalten und Dissoziation“ (Levine 2023, S. 150).

 

Die Ursachen dieses Phänomens liegen in neurobiologischen Prozessen. Aktuelle Ergebnisse aus der Gedächtnisforschung unterstützen die Hypothese, dass posttraumatischen Störungsbildern eine Fehlverarbeitung von traumatischen Erinnerungen zugrunde liegt. Während der extremen Stressreaktion traumatischer Situationen werden vorrangig isolierte sensorische Wahrnehmungen als implizite Erinnerung gespeichert, wohingegen die Integration des Erlebten in Form versprachlichter, expliziter Erinnerung behindert wird.

 

Grund dafür ist eine hohe Aktivierung der Amygdala beim Erleben traumatischer Ereignisse bei einer gleichzeitig reduzierten Aktivität des Broca-Areals, welches das Sprachzentrum im Gehirn ist und daran mitwirkt, Gefühlen sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Dieser gehemmte oder blockierte Transfer in sprachdominante Hirnareale bewirkt eine schlechte Verbalisierbarkeit der traumatischen Erinnerung: sie fragmentiert hierdurch, ihr Abruf ist erschwert oder vollständig dissoziiert.

 

Hinzu kommt, dass frühkindliche Traumata, welche vor dem Spracherwerb stattfinden, etwa frühe Bindungstraumata, sich schon aufgrund ihres zeitlichen Entstehungskontextes der sprachlichen Repräsentation entziehen. Dennoch natürlich sind auch diese Erfahrungen im Leib als sensorische, emotionale und physiologische Spuren gespeichert.

 

Ein zentrales Ziel der Traumatherapie ist die Integration dieser abgespaltenen Erlebnisfragmente in die fortlaufende Erzählung des Lebens. Emotional hoch geladene, implizite Erinnerungen müssen in ein bewusstseinsfähiges Narrativ transformiert werden, sodass erkannt werden kann, dass das Erlebte in der Vergangenheit liegt. Die Unterscheidung von damals und dort und hier und heute ist ein notwendiger Prozess der Assoziation, welcher der traumabedingten Dissoziation entgegenwirkt.

 

Daher ist es essenziell, therapeutische Zugänge zu nutzen, welche die traumabedingte Sprachbarriere überwinden.

 

So schreibt Juliet L. King im Vorwort zu Art Therapy, Trauma And Neuroscience:

 

The complex presentation of trauma remains a challenge to those who provide clinical care, as trauma compromises multiple nervous system functions, is manifested physiologically, and fractures the capacity to communicate verbally. Despite increasing explorations in the treatment of trauma, not enough attention has been given to art therapy.

(King 2022, S. IX)

 

 

 

Es ist von zentraler Bedeutung in der kunsttherapeutischen Arbeit, dass sie Sprachlosigkeit überwinden kann und über die verbale Ebene hinaus die Welt der Nonverbalität, der Symbole, der Bilder anspricht, die Ebenen all dessen, was nicht mehr oder nur schwer in Worte zu fassen ist.

 

Grundlage allen Ausdrucks ist der Leib, welcher verwoben ist mit der Welt und in den individuelle wie auch kollektive Spuren eingeschrieben sind. Dieser Leib kann als ‚Archiv‘ bezeichnet werden, in dem Lebensszenen mit all ihren sensumotorischen, emotionalen, szenischen und atmosphärischen Qualitäten abgespeichert sind. Die bevorzugten Modi der Speicherung von Erinnerung sind nonverbal, also visuell, sensumotorisch und emotional.

 

Weil Probleme, welche ihren Ursprung in (noch) nicht verbalisierbaren Traumaerfahrungen, haben, durch rein sprachliche Mittel kaum erreicht werden, setzt die Kunsttherapie auf Gestaltung, um diese inneren Bilder und atmosphärischen Erfahrungen auszudrücken. Gestalterischer Ausdruck kann verschlossene Erfahrungsbereiche öffnen und diese einer Bearbeitung zugänglich machen.

 

Im so entstehenden Prozess bedingen sich gestalterischer Ausdruck und allmähliche sprachliche Annäherung gegenseitig. Was im Gestalten an (noch) nicht sprachlich fassbaren Atmosphären sichtbar wird, soll im weiteren Verlauf auch in Sprache überführt werden. 

 

So sind wir in der Arbeit mit kreativen Medien […] ständig zu einer empathischen Übersetzungsarbeit herausgefordert: Die scheinbar stummen Bilder […] werden in Worte verwandelt, den verborgenen Bildern in der Sprache wiederum wird der Weg zur bildlichen […] Darstellung gezeigt.

(Nitsch-Berg & Kühn 2000, S. 41)

 

In der Kunsttherapie kommt es meist zu einer Verzahnung bewusst erinnerter Szenen und bewusstseinsferner Inhalte und Atmosphären. Durch ihre Sichtbarmachung werden sie einer Bearbeitung zugänglich und können so zur Bewusstseinsarbeit, Heilung und Entwicklung der Persönlichkeit beitragen.

 

Wenn auf diese Weise Erinnerungsspuren allmählich im Sinne einer Assoziation zusammengesetzt werden, bekommt traumatisches Geschehen einen Kontext, es wird ver-geschicht-licht und ver-ort-et:  Damals kann von heute unterschieden werden, so dass sich nachhaltig Erleichterung einstellen kann. 

 

 

Verwendete Literatur: 

 

Huber, M. (2020a). Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung, Teil 1. Junfermann.

Levine, P. A. (2023). Sprache ohne Worte. Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt. Kösel. 

Malchiodi, C. A. (2018). Creative Arts Therapies and Arts-Based Research. In: Leavy, P. (Hrsg.) (2018). Handbook of Arts-Based Research. The Guilford Press. S.68-87.

Nitsch-Berg, H. & Kühn, H. (2000). Kreative Medien und die Suche nach Identität. Methoden Integrativer Therapie und Gestaltpädagogik für psychosoziale Praxisfelder. 2 Bände. Andreas Kohlhage.

Sack, M. & Gromes, B. (2023). Schonende Traumatherapie. Ressourcenorientierte Behandlung von Traumafolgestörungen. Schattauer.

Schauer, M. (2024). Die einfachste Psychotherapie der Welt. Wie wir die Ursache von Stress und Krankheit behandeln und den Kreislauf von Trauma und Gewalt durchbrechen. Rowohlt Taschenbuch.

Van der Kolk, B. (2023). Das Trauma in dir. Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können. Ullstein Buchverlage GmbH. 

Manchmal sind unsere Konflikte tiefgreifend und wir in unseren Handlungsmöglichkeiten so eingeschränkt, dass wir Unterstützung brauchen, um Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn Sie alleine anstehen und sich Begleitung in Form von Psychotherapie oder Kunsttherapie wünschen, kontaktieren Sie mich gerne.

 

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